Hermann Gsell wurde am 4.Oktober 1854 als zweitältester Sohn im alten Haus „Zum Sternacker“ geboren. Drei Jahre später zog die Familie ins neu erbaute Haus „Röteli“. Die Kantonschule durchlief er ohne Probleme und wurde ein Mitglied der „Rhetorika“. Er studierte Architektur, zuerst in Zürich, wo er Mitglied des Studentengesangvereins war, dann in Stuttgard wo er mit zwei St.Galler Freunden studierte zusammen wohnte. (Wer waren diese Freunde ?)

Er erweiterte seine Kenntnisse in Florenz, wo unter Anleitung von Professor Geymüller die römischen Profanbauten ausgemessen und dokumentiert und schliesslich in einem grossen Werk publiziert wurden.

Zurück in St.Gallen trat er in das Baubüro Kessler ein, darnach arbeitete er zusammen mit seinem Schwager Emil Wild an verschiedenen St.Galler Bauten, u. a. am Bürgerheim und Waisenhaus. Die weiteren Jahre war er im bürgerlichen Bauamt und bei Baumeister Högger tätig.

Hermann war ein Einzelgänger. Voller Interesse für Kunst, Literatur und Natur zog er sich schon in jungen Jahren in seine Klause im Röteli zurück. Dort war er Trost für die einsame Mutter.

…. schloss er den Ehebund mit der Witwe seines Bruders Walter, Milly Gsell-Kessler. Sie lebten im Röteln bis zum Tod der Mutter und dem Verkauf des Hauses, 1909.

Das Ehepaar zügelte in ein neues  Haus an der Berneck, das mit dem grossen Garten ein Treffpunkt für Kinder und Enkel wurde. Aber auch hier hatte Hermann seine Klause, wo er sich gerne zu seinen Zeitschriften, Bücher und Bilder zurückzog.

Schon früh wurde er durch schwere Geachtelten in seinen Tätigkeiten gehindert. Er starb am 26.Oktober 1938, drei Wochen vor meiner Geburt. ( Laurenz Gsell * 14.11.1938)

Hermann Gsell-Kessler, 1854 - 1938

Notizen zum Lebenslauf von Clara Wild-Gsell, um ca. 1938 (in Otto Gsell, p 101 publiziert)

Die beiden Aeltesten, die Brüder Hermann und Robert, muss man in einem Atemzug nennen. Obschon grundverschieden, kann man sich den einen ohne den andern kaum denken. Bei Tisch herrschte eine Nekkerei der Beiden und der Freundeskreis: "Rhetorika", "Rösslitisch" und "Petulantia" war auch derselbe.

Hermann, Mugg genannt, was er gar nicht liebte, ging von Jugend an geistig seine eigenen Wege. Ein Einspänner, eigensinnig im Guten und Schlimmen, machte er die Erziehung nicht leicht. Voller Ideale, fand er sich schlecht in die Welt.

Robert, ein Gesellschaftsmensch, rasch im Auffassen und Lernen, kam leicht und gut durchis Leben. Beide Bruder bezogen Zurich als ersten Studienort. Hermann kam als angesehener Architekt aufs Politechnikum, nachher nach Stuttgart. Robert wollte zuerst Theologie studieren, aber der Mutter Wunsch ging nicht in Erfullung; er sattelte zur Jurisprudenz über und studierte in Leipzig und Heidelberg, wo er den Doktorhut errang.

Einige Jahre waren die Brüder miteinander daheim; mit den zwei Schwestern, Marie und Clara, bildeten sie ein fröhliches Quartett, das an schönen Sonntagen meist zusammen auszog. Hermann arbeitete auf dem Baubureau Kessler, Robert wurde zum Bezirksammann gewählt und war durch seine Gute und Arbeitskraft geliebt und geschätzt. Auf's Amt hätte er allerdings etwas zeitiger gehen können !

Hermann zog es nach der Toscana, wo junge Architekten die Profanbauten im Originalmass zeichnen und als Architektur-Werk herausgeben wollten. Einige Jahre wurden in interessantem Milieu: Böcklin, Mörike(?), Isolde Kurz, in Florenz zugebracht. Das schöne Werk erlebte aber nur eine Anfangs-Auflage. Hermann kehrte in die Vaterstadt zuruck und arbeitete bei seinem Freund und Schwager Emil Wild-Gsell auf dessen Baubureau, später bei Müller und Högger. Des Lebens Realitäten sagten dem Idealisten aber nicht zu. Sobald er konnte, zog er sich in sein Tuskulum im Röteli zuruck.

Robert, der Fatalist, versuchte sich im Heiraten und fand in Milli Kessler eine liebe, begabte Frau. Nach dem Tode des Vaters 1896 wurde das Parterre vom Röteli ihre Heimstätte. Mit der alternden Mutter und Bruder Hermann verband sie eine innige Freundschaft. Ein Nierenleiden, infolge von schwerem Rheumatismus, machte dem Leben des noch nicht Fünfzigjährigen ein Ende.

Ein 12 jähriger, begabter Knabe, er wurde später Flieger ( Robert Gsell-Jeglinski * 1889) und leistete der Schweiz im Luftamt äusserst wertvolle Dienste, trauerte mit Mutter, Grossmutter und Geschwistern über diesen herben Verlust. Die beiden Einsamen blieben im Hause, und nach einigen Jahren führte Hermann die Witwe seines geliebten Bruders heim.

Nach dem Verkauf )1910) des "Röteli" grundeten die Beiden ein liebes, neues Heim an der Berneck, im Röseligarten. Da säte und pflanzte die geschickte, tätige Hand der Hausfrau. Sie hatte auch viel zu pflegen, da ein jahrelanges Gichtleiden den Hausherrn plagte. Im Herbst 1938 ~ ein Tag vor Bruder Jakobs Todestag - durfte er nach herbem Kampfe die Augen für immer schliessen.
Sie haben viel Reiches und Schönes in sich aufgenommen das ganze Leben hindurch:


Trinkt, 0 Augen, was die Wimper hält,Von dem goldnen Ueberfluss der Welt.


Unserm Einsiedler ward diese Gottesgabe verliehen. Mit grossem Schmerze trennten wir Rötelikinder uns von der alten, lieben Heimat. Aber es musste sein.