Erinnerungen an Johann Matthias Naeff

Aus dem Sonderdruck aus "Der Rheintaler" vom 27. September 1899

Matthias Naeff, der nur kurze Zeit (1826-27) den Regierungssessel inne hatte, erreichte ein hohes Alter von 80 Jahren und erzeugte ebenfalls ein zähes Geschlecht, da ja drei seiner Söhne fast oder über 80 Jahre alt wurden. Die zwei älteste Kinder der Familie Carl (1797-1862) und Anton Naeff (1800-1867) widmeten sich dem Kaufmannsstande. Letzterer wandte sich ins Ausland (nach Oesterreich), um seinem Berufe obzuliegen und starb als angesehener Handelsmann in Cilli, Steiermark. Von den hoffnungsvollen Töchtern Anna (geb. 1803), spätere Frau Oberst Lutz, Carolina (geb. 1807), spätere Frau Architekt Kubly, Wilhelmina (geb. 1808), nachmals Frau Custer, und Luise (geb. 1811), spätere Frau Dr. Hilty, weilt keine mehr unter den Lebenden. Sie sind bereits den Weg alles Fleisches gewandelt und leben nur mehr in der Erinnerung dankbarer Freunde und Verwandten. Hingegen sind die Erlebnisse der vier jüngeren Söhne mit der Geschichte des Kantons St. Gallen und der gesamten Schweiz aufs engste verknüpft. Wir finden es daher bei diesem Anlass (90. Geburtstag von Ado1f Naeff) für angemessen, den Lesern in aller Kürze einige biographische Notizen der 4 Brüder: Wilhelm, Eduard, August und Adolf vor Augen zu führen, damit die Erinnerung an diese uneigennützigen, geistreichen und verdienten Männer wieder aufgefrischt und vor der Vergessenheit gerettet werde.

Lebenslauf geschrieben von Wilhelmine Gsell-Lutz

Lebenslauf geschrieben von seiner ältesten Enkelin Wilhelmine Gsell-Lutz

Unter dem Bilde meines lieben Grossvaters stehen die Worte: "Liebet Euch untereinander" , wohl das schönste Vermächtniss eines sterbenden Vaters an seine Kinder; er eröffnete daher den Kreis all der lieben Namen, die zur Erinnerung in dieses Buch geschrieben werden, und sein Abschiedswort sey und bleibe das belebende und beseligende Grundelement in unserer Familie, und vererbe sich auf Kind und Kindeskinder.

Johann Mathias Naeff war der einzig bei Leben gebliebene Sohn des Hrn. Mathias Näff und der Fr. Anna Schachtier von Altstädten und wurde geboren am 28 . September 1773. Nachdem er die Altstädterschulen besucht hatte, besuchte er zu seiner weitern Ausbildung die Lehranstalten in Zürich, Aarau und Lausanne, und widmete sich dann dem Kaufmannstand, zu welchem Zweck er einige Jahre in Genua als Lehrling zubrachte. Nach seiner durch den frühen Tod seines Vaters beschleunigten Rückkehr in die Heimath, trat er als Theilnehmer in das Handlungsgeschäft seiner Mutter und betrieb dasselbe in Verbindung mit seinem Associé  Han. Labhart, treu unterstützt durch Hrn.Kubli bis zum Jahr 1808. Er hatte 1802 sein Haus in der Vorstadt bezogen und widmete sich nun immer mehr der Besorgung seiner ausgedehnten Besitzungen und den verschiedenen Beamtungen, zu denen das steigende Vertrauen seiner Mitbürger ihn berief. Schon 1794 wurde er zum Aktuar des evangel. Verwaltungsrathes ernannt und später zum Präsidenten desselben berufen, welche Stelle er von 1818-1826 ununterbrochen bekleidete; gleichzeitig war er von 1800-1818 Mitglied u v. 1818-1820 Präsident des Schulrathes. Zur' Zeit der helvetischen Regierung war er Militärkommandant und viel Jahre hindurch erst Mitglied u dann Präsident des Bezirksgerichts, welche Stelle er erst 1826 niederlegte, indem er dann vom Gr.Rath, dessen Mitglied er ebenfalls längere Zeit gewesen war, in den Kl.Rath erhoben wurde, wo er zwar nur ein Jahr blieb, sich aber doch während dieser Zeit wesentliche Verdienste im Finanzwesen erwarb. In allen diesen Stellungen zeichnete er sich durch seine Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und Uneigennüzigkeit aus. Wo es galt, die Schulen zu verbessern, die Bildung der Jugend zu fördern, wirkte er freudig mit; vielfach wurde seine Tnätigkeit auch beim Altstädter Kirchenbau längere Zeit in Anspruch genommen. Mit grossem Eifer unterstützte er auch die Bestrebungen seiner Freunde Jac.Laur~ Custer und Dr. J. Naeff zur Befreiung des Rheinthais von seinem Unterthanenverhältniss. Wo irgend gemeinnützige u wohlthätige Anstalten zu gründen od. zu fördern waren, bot er willig die Hand.

Selbstbiographische Notizen von Johann Mathias

  • 1816 26 Juny President des Bezirger 10 Jahr 3 May 1825 erneuert
  • 1808 16 zum Mitglied in das Ehegericht n. angenommen
  • 1807 26 May ins Bezirkger gewählt. Das erste mal den 1 Juliy 1803 dann 30 Juny 1813
  • 1816 2 July in den Zentralrath.
  • 1826 23 Juny in den kl Rath - Mitglied 1 Jahr.
  • in den Stadtrath zum Stadtamman 1 lj2 Jahr
  • Schulpresident.
  • Mitglied d. Schulverwaltung
  • Aktuar des ev. Verwaltungsrathes
  • Grossen Rath 1808 u. 1817
  • Bezirks Commissar 1798.
  • Bezirks S. Quartier Commandt 1800 1801 1802 neuerdings ernannt 2te qu 1804 abgeschlagen
  • 21 Merz 1808 in Rheineck
  • 20 Herz 1808 " Sennwald
  • 20 Merz 1808 " Marbach
  • 21 Merz 1808 " ThaI
  • 21 Merz 1813 in Bernegg
  • 22 Merz 1813 in Rheineck
  • 19 Apr. 1813 in Marbach

Doch die Hauptquelle seines Glükes, das Hauptziel seines Wirkens war seine Familie. Den 25 Dec. 1796 war der Tag seiner glüklichen Verbindung mit der ihm unvergesslich theuren Marie Dalp von Chur. Gott segnete seine Ehe mit 6 Söhnen u 6 Töchtern; zwei der letztern starben ganz früh. Von den Söhnen ist nur einer vorangegangen, August Naeff im Alter von 36 Jahren, tief betrauert von den Seinen und einem Kreise von Freunden, denen er durch seine geistigen Vorzüge, durch Offenheit und Frohsinn lieb geworden war.

Von den 8 verehelichten Kindern erlebte er 52 Enkel, von denen 31 sich noch am Leben befinden und 2 Urenkel. So unoussprechlich glüklich er sich fühlte im Besitz seiner trefflichen Gattin und seinen hoffnungsvollen Kindern, so unsäglich gross war sein Schmerz, als ihm d 17 März 1811 die geliebt Gattin und Mutter in Folge ihrer letzten Niederkunft plötzlich entrissen wurde. Aus Liebe zu seinen Kindern blieb er Wittwer und betrachtete die Erziehung derselben und die Sorge für ihre Wohlfahrt als die Hauptaufgabe seines Lebens, wobei ihm seine eigene, treu besorgte Mutter und besonders eine redliche, verständige Haushälterin "Vreneli" die 36 Jahre lang im Hause diente und auch dort starb, mit wahrer Muttertreue behilflich war. Im Glüke seiner Kinder suchte und fand er sein eigenes Glük. Kinder und Kindeskinder hingen an ihm mit ganzer Seele. Unvergesslich ist mir die Liebe und Herzensgüte des guten Grossvaters, den ich, als seine älteste Enkelin in seiner ganzen Geistesfrische u Lebenskraft zu kennen das Glük hatte; unvergesslich von meinem' ersten Lebensjahre an, wo er bei jedem Besuch in, Rheineck seinen Enkelehen irgend etwas Gutes unter das Kopfkissen ins Bettehen legte, unvergesslich wie er bei unseren Ferienbesuchen in Alt. uns Fussgängern mit einer schnell zusammengerufenen Schaar Vettern und Bäschen stets entgegenkam, bald zu Wagen, bald zu Fuss und uns überraschte; unvergesslich besonders die Neujahre, die wir immer bei ihm zubrachten. Am Silvestermorgen kam, so lang ich mir denken kann, Grossvaters Kutscher mit Wagen oder Schlitten und Nachmittags fuhren wir, zuweilen von einem der lustigen, jungen St.Gallerenkels begleitet, singend und spielend, das Rheinthai hinauf. Droben angelangt begrüssten wir die St.Gallerverwandten, die über den Ruppen gezogen und suchten dann unsere Zimmer; kein Plätzchen im Hause war fast zu finden, wo nicht ein Bett aufgeschlagen war; in zwei grossen Zimmern lagen Matrazen am Boden, da wurden die kleinen Kinder plazirt und bei Zeiten zur Ruhe gebracht, währendem die Erwachsenen bei Spiel, Gesang und Nachtessen Mitternacht erwarteten.

Das wunderschöne Geläute Altstädtens brachte Ruhe und Stille in die fröhliche-Gesellschaft, und lautlos wurde den zwölf ernsten Schlägen gehorcht, die den Schluss des alten Jahres verkündeten. Mit dem letzten Glockenschlage fieng das Leben wieder an, und ein Kind nach dem andern wünschte mit einem herzlichen Kuss und warmen Händedruck dem geliebten Vater ein gutes Neujahr; dann folgten die gegenseitigen Glückwünsche und zuletzt wurde in die Schlafstuben der Kinder gezogen, wo jedes Päärchen die Seinen aufsuchte und ein herzliches Gottbehüte auf die Stirnen der kleinen Schläfer küsste. Natürlich wurde immer Alles wach und freute sich, wenn die fröhlichen Onkels die Ueberbleibsel vom Dessert in die Bettchen warfen und sie voll Jubel die süssen Spenden auffangen durften. Am Neujahrstag war der schönste Moment die Bescherung. Die Onkels stellten die Enkel in Reih und Glied, dem Alter nach, so bald man allein gehen konnte, durfte man mitmarschiren, der eine Onkel nahm eine Flöte, der andere eine Trommel, der dritte commandirte und so zog die Schaar
hinein in die Stube, wo der liebe Grossvater, umgeben von seinen Töchtern und Söhnen neben einer grossen Zaine voll Päkchen sass. Eines nach dem Andern wurde gerufen, machte sein Compliment, so gut es gehen wollte, sagte ein selbstfabriziertes Sprüchlein,bald heiter, bald kurz, bald lang, nahm sein Päklein, gab einen Kuss und kehrte an seinen Platz. Manche Thränen sah man glänzen in den Augen der Kinder und Erwachsenen, so rührend war diese einfache, unvergessliche Feier. Es ist gewiss keines der Enkel, dessen schönste Jugend-Erinnerung nicht die Neujahre in Altstädten sind und das "Liebet Euch untereinander" ist nicht verklungen, das beweisen die alljährlichen Familienfeste, wo nun bereits die dritte' Generation sehr zahlreich vertretten ist. Das letzte Neujahrfest war 1853. Die in Aitstädten versammelten Kinder und Enkel konnten die Ahnung nicht unterdrücken, dass dieses wohl das letzte sein werde. 1837 schon zeigte sich eine Spur von Schlaganfall, die eine leichte Lähmung der Zunge und etwelche Schwächung des Gefühls zur Folge hatte. Allmählich fingen auch die Geisteskräfte des geliebten Vaters und Grossvaters in Folge einer zunehmenden Gehirnerweichung an zu schwinden. Sechs Wochen lag er auf dem Krankenlager, gepflegt von seinen Kindern, die abwechselnd zu ihm eilten besonders von seiner verwittweten Tochter Luise, die schon seit vielen Jahren ihm die Haushaltung führte. In schmerzenloser Ruhe, umgeben von den Seinen, chlummerte er sanft und ruhig hinüber am Hohendonnerstag d 29 März 1853. Morgens um 2 1/2 Uhr, im Alter von 79 Jahren 5 Monaten und 24 Tagen; er ist gestorben, aber im Herzen der Seinen lebt er fort und sein Segen
waltet über seinem: Liebet Euch untereinonder