Erinnerungen an Wilhelm Naeff

Aus dem Sonderdruck  "Der Rheintaler" vom 27. September 1899

Wilhelm Naeff machte seine Rechtsstudien auf der Universität Heidelberg, wo sein Name noch in den 20er Jahren auf dem berühmten Tische zum "grauen Pelz“ eingraviert zu sehen war, neben dem seines Mitschülers Dr. Weder von Oberriet. Kaum zurückgekehrt in seine Heimat, wurde der junge Rechtsgelehrte 1828 in den st.gallischen Grossen Rat, im Juni 1830 in das Appellations-Gericht und gegen Ende des gleichen Jahres (1830) neben Baumgartner, Fels, Gmür, Stadler und Reutti in den kleinen Rat gewählt. Es war eine gährende, stürmisch bewegte Zeit, in welcher Naeff seine eigentlich politische Laufbahn begann.

Nach Annahme der 1831er Verfassung wurde Regierungsrat W. Naeff von der ersten Bezirksgemeinde neben seinem Vater, alt-Regierungsrat Mathias Naeff, wiederum in den Grossen Rat gewählt, während der anwesende Baumgartner auf das demagogische Treiben von „Naglersepp" nicht nur übergangen, sondern sogar verhöhnt wurde. Um 1832 sehen wir die Landammannstelle meist zwischen Baumgartner, Dr. Stadler und W. Naeff wechseln.

Im Laufe der kommenden Jahre musste dem angehenden Staatsmann auch die eidgenössische Politik in den Vordergrund treten, um deren würdige und freisinnige Entwicklung sich Naeff angelegent1ichst bekümmerte. Als in der Mitte der 30er Jahre in der Schweiz eine kräftige, nationale Richtung gegen die schmachvolle Behandlung von Seite des Auslands sich geltend machte, da half Naeff getreulich den schweizerischen Patrioten. Er nahm regen Anteil an dem energischen Vorgehen des Schweiz. Nationalvereins, präsidierte sogar die grosse, von 10'000 Mann besuchte Protestversammlung in Flawil am 7. August 1836, wo man jene denkwürdige Adresse an die Tagsatzung beschloss, in welcher man feierlich gegen die Eingriffe der fremden Diplomaten protestierte, und eine Rekonstituierung der Schweiz durch einen, nach der Volkszahl gewählten Verfassungsrat postulierte, und den st. gallischen Vertreter auf der Tagsatzung, Baumgartner, stürmisch feierte.

In den folgenden Jahren trat der gefeierte Rheintaler mit ganzer Energie für die damals an die Hand genommene "Korrektion des Rheinstroms" ein. Er war es, der am 15. Sept. 1840 neben Baumgartner den mit Oesterreich abgeschlossenen Vertrag, bezüglich Vornahme von Kanalbauten, unterzeichnete.

Bei dem, im Jahre 1838 in St.Gallen stattfindenden eidgenössischen Schützenfest fungierte Herr Naeff als Präsident des Zentral-Komitees und begrüsste mit warmen Worten die von Lausanne herkommende eidgenössische Fahne. An den konfessionellen Kämpfen der 40er Jahre nahm Naeff eine vermittelnde Stelle ein. Er fand keinen Geschmack an denselben, wie er überhaupt zeitlebens toleranten Grundsätzen huldigte, weshalb er denn auch im konservativen Bezirk Oberrheintal stets das Volksvertrauen auf seiner Seite hatte. Er stand im Ansehen des Volkes so fest, dass selbst die stürmisch bewegte Bezirks-Gemeinde am 2. Mai 1847, trotz der ultramontanen Mehrheit, den freisinnigen Repräsentanten des Oberrheintals nicht zu sprengen wagte.

Bis zum Jahre 1848 bekleidete Naeff nicht weniger als 8 Mal die Würde eines st.gallischen Landammanns und 2 Mal (1844 und 1847) diejenige eines Tagsatzungs-Gesandten. Er sah jene stürmischen Scenen im st.gallischen Grossrats-Saal am 12. und 13. Oct. 1847, wo die Instruction für die Tagsatzungs-Abgeordneten (bewaffnete Auflösung des Sonderbundes) in ununterbrochener 19 stündiger Sitzung mit 76 gegen 71 Stimmen beschlossen wurde. Er wohnte in Bern jenen kampferfuüllten Sitzungen der Standes-Abgeordneten bei und verrichtete als Friedenskommisär jene zwecklose Mission ins feindliche Hauptquartier nach Luzern.

Die neu regenerierte Schweiz zog alsbald den gewissenhaften Beamten in ihre Dienste. Am 16. Nov.1848 wählte die Bundes-Versammlung den vom Kanton St. Gallen bereits in den Ständerat gewählten Naeff zum 7. Mitglied des Bundesrates, dem er bis 1875 angehörte und meist das Postdepartement versah. Im Jahre 1853 stieg er zur höchsten Ehrenstelle, die unser republikanisches Staatswesen zu vergeben hat, nämlich zu derjenigen des Bundes-Präsidenten empor. Hier darf noch erwähnt werden, dass Naeff der einzige Vertreter des Kantons St. Gallen im Bundesrate gewesen ist, seit Bestehen des neuen Bundes.

Was unser Mitbürger in den Jahren 1848 bis 1875, während welcher Zeit er dem Bundesrate angehörte, der schweiz. Landes-Verwaltung geleistet, welche Verdienste er sich namentlich um die Neuschöpfung des eidgenössischen, anerkannt mustergültig eingerichteten Telegraphenwesens erworben hat, ist allgemein bekannt. Dem Gedächtnis der heutigen Generation entlegener ist die fruchtbare Tätigkeit, die der Dahingeschiedene früher, als Vorstand des st. gallischen Bau-Departements, entwickelt hat. Die Energie und das Geschick, mit welcher er den Bau der Strasse ins Pfäfferser Bad betrieb, der voraussehende Blick, den er frühzeitig schon, betreffend Anlage von Eisenbahn-Linien an den Tag legte, ist heute noch aller Achtung wert. 45 Jahre hat W. Naeff der obersten kantonalen und eidgenössischen Magistratur angehört, zum Nutzen und Frommen des Kantons und des gesamten Schweizerlandes. Sein administratives und organisatorisches Talent ist von Jedermann rühmend anerkannt worden.

Die imposante Gestalt des hervorragenden republikanischen Staatsmannes, der mit kräfitgem, entschiedenem Auftreten in hohem Grade auch diplomatische Gewandtheit und Formsicherheit zu verbinden verstand und darum wiederholt mit wichtigen Missionen an auswärtige Höfe betraut wurde, gehört der eidgenössischen Geschichte an.

Der anno 1875 ins Privatleben zurückgetretene Beamte starb nach langer, schmerzhafter Krankheit im hohen Alter von 78 Jahren in Muri bei Bern. An ihm hat die Schweiz, so lautet das allgemeine Urteil, einen ihrer berühmtesten Bürger und gewissenhaftesten Beamten verloren, und Altstätten darf stolz darauf sein, einen solchen Mitbürger unter den Seinigen zu zählen.

Eigene Daten zu seinen Jugendjahren

  • 1802 Febr. 19 geboren
  • 1805 nach Rebstein desertirt
  • 1815 Oct Aarau
  • 1817 Herbst Lausanne
  • 1819 Oct Heidelberg
  • 1823 Sept Doctorirt
  • 1824 Aug S Lager Schwarzenbach
  • 1825 Anfang der Praxis
  • 1826 Juni nach St.Gal1en
  • 1827 Juni zurück nach Altstädten
  • 1827 Auf Thun Regierungsrath
  • 1828 Wohlen
  • 1828 Verwaltungsrath Cantonsrath
  • 1829 München
  • 1829 Schulrath
  • 1829 Die Regierungsrath
  • 1833 doch wieder Cantonsrath

Wilhelm hat 1829 alle seine Geschwisteraufgefordert ihre Lebenslaufdaten für einen Stammbaum niederzuschreiben.Den folgenden Brief hat er an seine Bruder Carl geschrieben:

Lieber Carl
Deine Idee eines chronologischen Stammbaumes ist sehr artig. Du siehst aus beiliegendem Musterbletz, dass sie allerdings ausführbar ist, 10 mal interressanter wird als die trockenen Stammbäume die nur Leben und Sterben anzeigen. Deine Zeichnerhand wird mit Ast und Blättern dem Ganzen auch ein schönes Passen geben. Allegorische Bilder die eines jeden Biographie begleiten, müssten viel dazu beitragen dem Ganzen ein lebhaftes Aussehen zu geben. Lass dir von jedem Kind eine Selbstbiographie geben, deine Phantasie wird Stoff genug dazu geben. Voltigeurhelme in Aarau, dem Adolph eine Canone, dem August einen Schläger, das Helvetiazeichen f. Eduard u. August ein Bierglas, ein Bein eine Hand für Beinbruch u. Armbruch und viel anderes gescheiteres Zeug. Hast Du eine andere Manier schon angefangen so könnte es nichts schaden, wenn Du mir einen 2ten nach obiger Art machen würdest. Adieu.
W. Naeff ,  A. 12. akt. 1829

Bundesrat Wilhelm Naeff 1802 - 1881

VON HERMANN BÖSCHENSTEIN (BERN), ERSCHIENEN IN DER RORSCHACHERZEITUNG VOM 9. 12. 1971

Der Kanton St. Gallen war seit 1848 mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch im Bundesrat vertreten, in dem die bei den grossen Stände Zürich und Bern ihren Sitz immer, die Waadt mit Ausnahme der sechs Jahre von 1875 bis 1881, als der Neuenburger Numa Droz, und der drei Jahre von 1944 bis 1947, als sein Landsmann Max Petitpierre die einzigen Welschen im Bundesrat waren, zu behaupten wussten. Dank der langen Amtszeiten von Giuseppe Motta, Emil Welti
und Edmund Schulthess, haben nur die Kantone Tessin und Aargau eine längere Vertretung als St. Gallen aufzuweisen, dessen erster Bundesrat WILHELM MATHIAS NAEFF mit 27 Amtsjahren die längste Amtsdauer der ersten Sieben aufwies. Es fällt zunächst auf, dass er in dieser langen Amtszeit ein einziges Mal, im Jahre 1853, Bundespräsident wurde, während beispielsweise der Berner Radikale Jakob Stämpfli, innerhalb von sechs Jahren dreimal zur höchsten Würde aufstieg; er und sein Nachfolger Carl Schenk wurden schon im zweiten Jahr ihrer Zugehörigkeit zum Bundesrat Bundespräsident. Wie die St. Galler Bundesräte Arthur Hoffmann und Thomas Holenstein war Naeff der Sohn eines führenden Politikers. Er wurde am 19. Februar 1802 in Altstätten als Spross einer alteingesessenen protestantischen Familie geboren. Sein Vater, der "Leinwandherr",gehörte seit 1826 dem Kleinen Rat (Regierung) an. Naeff erhielt eine sorgfältige Ausbildung und durchlief die Gymnasien in Aarau und Lausanne. In seinem 22. Lebensjahr wurde er bereits in Heidelberg zum Doktor der Rechte promoviert, mit 26 Jahren war er Grossrat und mit 28 Mitglied des Verfassungsrates von 1830 sowie anschliessend der Regierung, in der er das Baudepartement übernahm und zwischen 1834 und 1848, als er in den ersten Bundesrat gewählt wurde, nicht weniger als achtmal Landammann wurde. Naeff gehörte zum radikalen Flügel des Freisinns, wurde 1848, nachdem er in den entscheidenden Jahren der Bundesstaatengründung Tagsatzungsabgeordneter gewesen war, Ständerat und dann Bundesrat. In den ersten 4 Jahren leitete er das Post-, Bau- und Telegraphendepartement, in seinem Präsidialjahr 1853 dann das Auswärtige, worauf er für elf Jahre zu seinem früheren Departement zurückkehrte, nachdem er 1854 vorübergehend das Handels- und Zolldepartement geleitet hatte. Von 1867 bis 1873 stand er dem Handels und Zolldepartement vor und in den letzten zwei Amtsjahren dem Finanz- und Zolldepartement.

Mit seinem Landsmann und Freund Nationalrat Erpf und dem Basler La Roche schuf Naeff die Grundlagen der eidgenössischen Post. Erpf, ehedem St. Galler Postdirektor und Präsident der kantonalen Postkommission war die rechte Hand des Departementschefs , der am Ende seiner Amtszeit massgeblich zur Gründung des Weltpostverein von 1874 beitrug. Die Wahl in den Bundesrat ergab sich vor allem aus der Tatsache, dass Naeff 1847 in der Tagsatzung die entscheidende Stimme für die Auflösung des Sonderbundes mit Waffengewalt abgab, nachdem er in Luzern vergeblich zu vermitteln versucht hatte, und der Revisionskommission angehörte, die die erste Bundesverfassung auf Grund der Entwürfe von Kern und Druey ausarbeitete. Wenn er im Laufe seiner langen Amtszeit mehr und mehr in den Schatten der freisinnigen Wortführer Furrer, Stämpfli, Frey-Herosée, Schenk und Welti geriet und sich auf sein technisches Departement beschränkte, so steht er doch mit der Vereinheitlichung des Post- und Telegraphenwesens als Baumeister einer der wichtigsten Schöpfungen des jungen Bundesstaates da. In der Eisenbahnfrage befürwortete er anfänglich das Staatsbahnsystem, wandelte sich dann aber zum Anhänger des Privatbahnsystems und geriet damit in Gegensatz zum einflussreichen Stämpfli. Politisch machte er als Magistrat den Weg vom radikalen Flügel zum gemässigten Zentrum, was seinen Erfahrungen als verantwortlicher Regierungsmann besser entsprach als den tonangebenden Kräften, die 1872 mit der
zentralistischen Totalrevision einen Misserfolg erlitten. Er war fast 74 jährig, als er aus dem Bundesrat zurücktrat und zweifellos nicht mehr auf der Höhe seiner ursprünglichen Leistungsfähigkeit.
Wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag ist Naeff zu Beginn des Jahres 1881 in Muri bei Bern gestorben.