Otto Gsell-Baerlocher, 1868 - 1944
Notizen von der Schwester Clara Wild-Gsell, geschrieben ca. 1938, bereits in Otto Gsell, 1984, p 87 veröffentlicht
Fangen wir mit dem "Töneli" ll an, mit seinen blauen Augen. Er war eher ein stiller Knabe, aber nie ein Spielverderber. Manchen Freunden erschien er zu brav. In der Schule war er dies wohl kaum, nach seinen Berichten. Auch hatte er seine eigene Weise, etwas zu erreichen. Er steckte sich hinter seine Mutter, während das jüngere Schwesterlein den Vater als Helfer erkor.
Da das Klavierspiel dem Jüngsten verleidet war, zeigte er mächtigen Drang nach Geigenstudien und vor allem nach einem schönen Violinkasten. Was Musik anbelangt, durfte man im Röteli Alles lernen. Nach der Matura kam Otto nach Zürich, um Medizin zu studieren und war nebenbei fröhlicher Singstudent, der vierte der Gsellen. Nach Reisen in die Spitäler von Wien und Paris, wurde er Assistent bei Professor Wyder, Gynäkolog in Zürich. Dieser sprach das Zeugnis aus, noch selten einen solch gewissenhaften Assistenten gehabt zu haben. Dann liess sich der junge Arzt in St. Gallen nieder und freite bald eine liebe Cousine, Irma Baerlocher. Gleiche Lebensanschauungen und gleiche Interessen führten die Beiden wohl zusammen. Drei Söhne, darunter Zwillinge, entsprossen dieser harmonischen Ehe. Zwei Enkelkinderlein sind nun die Freude der Grosseltern, die in einem reizenden Häuslein im Osten der Stadt sich eine schöne, liebe Heimat geschaffen haben. Kranker Augen wegen musste der Arzt sich in manches schicken, aber seine Philosophie und die Lebensgefährtin halfen ihm darüber hinweg. Blindenschrift und Schreibmaschine erlernte der Siebziger mit der ihm angeborenen Energie, und nun ist der Garten sein liebes Arbeitsfeld. Die Tradition des Elternhauses lebt in den modernen Räumen der Schubertstrasse und wird in den Enkelkindern frisch erblühen.
Notizen von Otto Gsell zu seinem Vater, um 1970.
Otto Gsell, Dr. med. war ein sehr geschätzter Hausarzt, der im Lämmlisbrunn-Quartier in St.Gallen wohnte. Ursprünglich in Zürich zum Frauenarzt ausgebildet, musste er die operative Tätigkeit wegen Blutung in der Aderhaut bei hochgradiger Kurzsichtigkeit aufgeben, konnte aber bis 1933 eine ausgedehnte Praxis - meist zu Fuss - betreuen. Zeitungen und Bücher mit Werken aus der ganzen Weltlitheratur wurden ihm von seiner Gattin vorgelesen. Er wanderte oft mit seiner Familie, im eine Sommer in ein Bergdorf, im andern Sommer an einen See, ging jedes zweite Jahr mit seiner Gattin in die Ferien ins Ausland, oft nach Italien, und war bei Patienten und Freunden sehr geschätzt. Mit 77 Jahren starb er an Urämie bei einem Prostataleiden.