Auszug aus Daniala Gsell Gedenkschrift.

Unsere Mutter wurde am 3. April 1893 geboren als drittes Kind von Geheimrat Rudolf Busse und seiner Frau Caroline geborene Schmidt. Vom Vater ist wenig bekannt. Er lehrte griechisch, lateinisch und hebräisch. Er leitete Schulen in Lichterfelde, Frankfurt und Küstrin und waltete zuletzt als Direktor am Alexander Humboldt Gymnasium in Berlin. In den Hungerjahren des ersten Weltkrieges weigerte er sich- obwohl zum Skelett abgemagert - auch nur ein Stück von dem Brot
zu essen, das seine Frau ihm aus den Spitälern mitbringen konnte. Er nahm nur, was ihm von Staats wegen zustand. In der wohlgeregelten, vielleicht phantasielosen, aber liebevollen und treuen Beamtenfamilie muss die schon damals ausgeprägte Rastlosigkeit und der unstillbare Lerneifer unserer Mutter eher störend gewirkt haben. Sie soll stundenlang unter dem Dach geschaukelt haben, sie erinnerte sich an tagelange einsame Ballspiele. Sie selber durfte das Gymnasium nicht besuchen. Die Erlaubnis, ein Abitur zu machen, konnte sie ihrem Vater erst abzwingen, als sie alle Lehrerinnen-Examina bestanden hatte.

Wirklich hingezogen gefühlt hat sie sich wohl nur zu ihrem Grossvater, Albrecht Schmidt, dem Vater ihrer Mutter, der als Konsistorialpräsident die Geschäfte der preussischen Kirche in Berlin leitete. Zeitweise durfte sie sogar bei ihm wohnen, um Schulen in Berlin besuchen zu können. Sie traf vermehrt auch ihren Onkel Friedrich Schmidt-Ott, den damaligen Kultusminister, der sie am Rande den Hofstaat Kaiser Wilhelms II miterleben liess. 1914 brach die Welt zusammen, in der sie aufgewachsen war. Ihr Entschluss, Medizin zu srudieren., fällt in diese Zeit. Zweimal konnte sie ein Semester in München studieren. Wesentlicher als das Medizinscudium waren die Frauengestalten, die sie dabei traf und die sie von Ferne bewunderte. lrgendwann hat jemand sie in die Wohnung von Ludwig Derleth und seiner Schwester Anna Maria am Marienplatz in München gebracht. Ludwig Derleth hatte damals die Proklamationen veröffentlicht, die von Stefan George als "grosser Lebensodem" gerühmt wurden. Wie aus einem Füllhorn füllten nun die Visionen des militanten Esoterikers das Gefäss aus Eifer, Unbeugsamkeit und Sehnsucht, das ihre Jugendjahre in ihr aufgebaut hatten.Sie begann. ihr Leben als Gesamtkunstwerk zu führen, eine Vision der Romantiker, die sich im Jugendstil wieder belebte, und empfand die künstlerische Stilisierung aller Lebensäusserungen und ihrer Umwelt als religiös getragene Lebensaufgabe.

1923 verheiratete sie sich mit Rudolf GselL der aus St. Gallischer Familie als Jurist in Berlin im pipiomatischen Dienst tätig war. Sie stellte ihn in grosser Liebe in den Mittelpunkt ihres Lebens, um den herum sie ihr Kunstwerk aufbaute. Er, tolerant und anpassungsfähig, voller Freude an künstlerischen Äusserungen, liess sie machen. Man erzählt von ihnen als Bild des reinsten Glückes. Schon 1925 aber fand sich im Diplomatischen Dienst keine Stelle mehr. Sie kamen nach Basel zu Hoffman-La Roche, vorübergehend nur. Es sollten 60 Jahre werden. wie es hiess, um in den Fernen Osten zu gehen.

Es kamen die Töchter zur Welt, 1935 bauten sie mit Salvisberg das Haus an der Dinkelbergsrrasse. Das bislang innerliche Kunstwerk erhielt mit untrügerischem Geschmack auch eine äussere Form. In dieser Zeit gelangten auch Ludwig Derletb und seine Frau Christine Dedeth, später auch seine Schwester Anna Maria, als Asylsuchende in die Schweiz. Oft sind unsere Eltern dann auch an griechische Gestade gezogen und umgaben sich auch in ihrem Hause mit dem Glanze attischen Lichtes. Sie wusste aber auch, dass andere Zeiten und andere Kulturen eine Gestalt wie die ihre nicht, hätten ertragen können, das Mittelalter beispielsweise, und sie mied die entsprechenden Stätten. Nach Indien hingegen reisten sie, auch nach Japan, und sie suchten sich neue geistige Führer: Ludwig Curtius, mit dem sie Griechenland bereisten, Oskar Kokoschka, bei dem sie in Salzburg in den Sommerkursen malten, Hans Erlenmeier. durch den sie Sumer erfuhr.


Als unser Vater im Januar 1962 starb strich sie im Fränkischen Koran an: ( Vertont von Gerhard Frommel 1932)


"Gleichgültig ist mir das Toben und Heulen des Pöbels,
das Zischen der Neiderzungen, das Lachen der Spötter
und der Beifall der kurzsinnigen Horde.
Denn keiner weiss, wie mir geschah,
als sich vor Gram die Seele mir versteinte."


Volle 15 Jahre hat unsere Ria ihr Leben noch behütet, 8 ihrer 10 Enkel sind in dieser Zeit geboren und erfüllten das Haus mit Lachen und Fröhlichkeit. Sie hat viele Bilder gemalt. Manche sind sehr schön.

Hier gehts zur gesamten Gedenkschrift, pdf