Brief von Anton an Carl

Carl hat seine Geschwister aufgefordert für einen Stammbaum ihre Personalien aufzuschreiben. Hier ist die Antwort von Anton:


1800   Oct. 19 geboren
1811   April nach Aarau
1816   Mai Lausanne
1817   Juni Nürnberg
1824   Juni Reise nach Holland
1825   Mai Reise nach Wien
1828   Juni wieder nach Nürnberg
1826   Mai Hauptmann
1833   Oct 10 Hochzeit
1821   Oct Inspruk
1833   Sep Wien mit Häkklis

Nürnberg den 30 September 1829
Ich danke dir, mein lieber Bruder, für die Mittheilung des wichtigen Ereignisses in deiner Familie, und versicher dich hiermit meiner Theilnahme an deinem häuslichen Glücke. Es erfreute mich seitdem auch einen Brief von Wilhelmine, der mich hinsichtlich der Familien Angelegenheiten noch ganz au fait setzte. Du verlangst, dass ich dir die merkwürdigsten Punkte meines Lebens bezeichne, um sie auf einern Stammbaume prangen zu lassen. Mein Lebenslauf ist jedoch so thatenlos und öde, dass ich in Verlegenheit bin, nur ein erhebliches Ereigniss aufzufinden, und wenn ich zufälligerweise keinen Geburtstag hätte, so würde ich
dir den Rath geben, meinen Ast absägen zu lassen. - So aber ist nun einmal durch den Hansjörg der Auswuchs da, und daher verzeichne ich dir nachstehend die verlangten Daten. - Mein Geburtstag fällt, soviel ich weiss in das 19. Jahrhundert; die genauere Bezeichnung, die mir nicht bekannt ist, findest du im Altstetten Kirchenrodel.Ueber meinen Verrichtungen in den Windel jahren kann dir Vreneli rapportiren, wenn sie zur Vervollkommnung des Zehenästers beitragen. Dieses alles aber ist nach meiner Ansicht nicht von grosser Wichtigkeit. - Meine fata in den Flegeljahren sind mir nicht mehr klar im Gedächtniss, und die adeptio pubertatis fällt ebenfalls in die graue Vorzeit. - Lose Streiche und Wize gehören nicht hieher, sonst würde ich meine chronique scandaleuse durchblättern. Vielleicht fänden sich doch hie und da Memorabilia. Ich kann dir also ausser meiner Menschwerdung keine Denkwürdigkeiten notificiren, als allenfalls der kurze Traum meiner Capitainitaet, der im May 1826 begann. -Meine Liebschaften gehören zu den memoires secretes, die ich weder in Druck noch in Manuscript heraus gebe, und viel weniger der Indiscretion eines Chriesibirers anvertraue oder eines Fraurothlichers. Wenn es dich aber freut, so kannst du einige Körbe oder Krätzen an die Zweige hängen, und Seufzer hoffnungsloser Liebe durch die Blätter rauschen lassen. Das bringt den Gaul nicht um! Auch darfst du meinetwegen von Station zu Station eine Kuh postieren, die mit ihrem Flaumpatschcheneinen Kübel umschmeisst. Das ist alles aus dem Leben gegriffen. - Nur sey so gut, und lass meinen Ast so wachsen, dass ich bequem in den Gipfel steigen kann oder dass er wenigstens zu rechter Zeit abbricht, und ich unterwegs dann & wann eine schmackhafte Birne erschnappen kann. Unterdessen nimmts mich Wunder, wie der Baum aussieht, und daher würde es mich freuen, wenn du irgend einen feneant veranlassen könntest mir eine Copie zu entwerfen. Lebe nun wohl, und grüsse mir Frau, Kind und Kegel vielmal; dem neuen Madel einen Kuss.


Dein Anton

 

Als ich vor einigen Tagen in ein hiesiges Caffehaus kam, sah ich einen Offizier mit hellblau u. schwarzer Uniform Billard spielen. Ich erkannte ihn gleich als Zürcher, und erhielt durch ihn einen Blick auf die eidgenössischen Unterleutnants Epauletten Gewissheit. Ich sprach ihn als Landsmann an & erfuhr, dass er, ein Mettler von Stäfa, geborener Sachse, nach Sachsen gereist sey, um sich von der Conscription frey zu machen. Abends wollte ich ihn wieder aufsuchen, denn es wurmte mir, allein da war er schon zum Thor hinaus. Da meine Antwort auf jeden Fall zu spät zur Taufe gekommen wäre, so habe ich noch ein paar Tage länger gewartet.

Briefe an Anton Naeff

Breife an Anton Naeff nach Nürnberg und nach Wien in den Jahren 1829 bis 1841.

Von seinen Geschwistern, seinem Vater und anderen.

Es sind 43 Briefe, die von Peter Kiraly aus Ungarn im März 1998 nach Basel brachte und die von Renate Altwegg-Im Hof transskribiert wurden. Die Briefe sind im Skript: Familie Naeff, Dokumente 1. Generation, Skript II publiziert

Eine Analyse, Zusammenfassung und Kommentierung ist noch nachzuholen.